Legende

Die Legende der Vanille

Die Vanille kommt ursprünglich aus der Region Veracruz am Golf von Mexiko. Dort beheimatet ist das Volk der Totonaken, dessen Geschichte und Legenden unzertrennlich mit der Vanille verknüpft ist. Durch sie lernten zuerst die benachbarten Azteken und dann die spanischen Eroberer die Vanille kennen. Die Legende derTotonaken weiß über den Ursprung der Vanille Folgendes zu berichten.

Prinzessin Tzacopontziza (Morgenstern)

Im Land Gottes und des glänzenden Mondes lag das totonakische Königreich Tononacopan. Zwischen Papantlaund El Tajin, der alten Stadt, erbaut zu Ehren der Gottheit Huracan bzw. Thlaloc, wurde zum ersten Mal Vanille angebaut und kuriert. Der außergewöhnliche Duft der Vanille machte Papantla später als „Stadt, welche die Welt parfümiert“ bekannt.

Vor der Regierungszeit des totonakischen Herrschers Tenitzli III. existierte Vanille noch nicht. Tenitzli und seine Ehefrau hatten eine so unbeschreiblich schöne Tochter Tzacopontziza (Morgenstern), dass sie den Gedanken nicht ertrugen, sie einmal mit einem Sterblichen verheiraten zu müssen. Deswegen sollte die Prinzessin ihr Leben dem Kult der Göttin Tonoacayohua, Gottheit der Ernte und Speise, widmen. Tzacopontziza verbrachte ihre Tage im Tempel und brachte der Göttin Lebensmittel und Blumen dar.

Während die totonakische Prinzessin wie jeden Tag Blumen vom Wald in den Tempel brachte, wurde sie eines Morgens zufällig von dem jungen Prinzen Zkatan-Oxga (Junger Hirsch) beobachtet. Dieser, im Gebüsch und von ihr unentdeckt wartend, war von Ihrer überirdischen Schönheit wie vom Blitz getroffen und verfiel sofort in unsterbliche Liebe zu ihr. Ihm war bewusst, dass allein sein auf Tzacopontziza ruhender Blick ihm den Tod durch Enthauptung einbringen konnte, aber er war sofort von dem Gedanken besessen, sie zu seiner Frau zu nehmen. Seine brennende Liebe überwog das Risiko, gefangen genommen und getötet zu werden. So kam es, dass er am nächsten und an vielen darauf folgenden Tagen wieder im Gebüsch auf sie wartete und sie auf ihrem Weg sehnsüchtig beobachtete.

Eines Morgens, als dichte Wolken und morgendlicher Nebel tief auf den Hügeln lagen, fasst der Prinz den Entschluss, Tzacopontziza zu ergreifen und mit ihr zu fliehen. Er sprang aus dem Unterholz, stellte sich ihr in den Weg, erklärte ihre seine Liebe und ergriff sie am Arm. Obwohl die Prinzessin der Totonaken vom plötzlichen Erscheinen und der brennenden Leidenschaft Zkatan-Oxgas erschreckt war, fiel auch sie in Liebe zu ihm und willigte ein, mit ihm durch den Wald zu fliehen.

Gerade als sie abseits des Weges aus dem bewaldeten Tal kamen und die ersten Berge erreichten, sprang ein schauerliches Untier von einem Felsblock, spuckte Feuer und zwang die beiden auf den Weg zurück. Als sie dorthin zurückflohen, tauchten plötzlich die Priester der Tonoacayohua auf und als sie die beiden Flüchtigen erblickten, versperrten sie ihnen ebenfalls den Weg. Noch bevor der Prinz etwas sagen oder tun konnte, schlugen ihn die Priester nieder und enthaupteten ihn. Das gleiche Schicksal traf die Prinzessin. Die Priester schnitten die noch schlagenden Herzen der Liebenden aus ihren Körpern und brachten sie im Tempel der Göttin auf einem Altar zum Opfer dar.

Xanath – die „gejagte Blume“

Laut der Legende der Totonaken begann wenige Tage nach den grausamen Toden an der Stelle des Blutvergießens das Gras zu trocknen und wie als ein Symbol für einen Neuanfang plötzlich ein Strauch zu sprießen. Wieder einige Tage danach war der Busch bereits einen Meter in die Höhe gewachsen und dichtes Blätterwerk wucherte. Kurz darauf begann eine zarte smaragdgrüne Kletterpflanze aus der Erde zu sprießen und die Zweige des Busches wie in einer Umarmung zu umranken. Ihre Ranken waren zart und elegant, Ihre Blätter kraftvoll und sinnlich. Jeder, der daran vorbeikam, beobachtete mit Verwunderung, als eines Morgens zarte gelbgrüne Orchideen aus den smaragdgrünen Ranken schossen, ganz, als ob eine junge, schmachtende Frau von ihrem Geliebten träumen würde. Als die Orchideen erstarben, wuchsen schlanke Schoten und verströmten nach einiger Zeit einen Duft, der betörender und anmutiger war als die prächtigste Räuchergabe für die Göttin Tonoacayohua.

Den Priestern der Tonoacayohua wurde klar, dass sich das Blut des Prinzen und der Prinzessin in den starken Busch und in die grazile Orchidee verwandelt hatten. Die Orchidee und die Kletterpflanze wurden der Göttin daraufhin als heilige Gabe dargebracht und seither schenken die Totonaken ihrer Gottheit – und der Welt – die Vanille.

Wegen dieser Legende nennen die Totonaken ihre Vanille bis heute caxixanath oder xanath – zu Deutsch: „gejagte Blume“.